Es war eines der berühmten Duelle David gegen Goliath.
König Leonidas und die 300 gegen das persische Heer, Rocky Balboa gegen Apollo Creed, das „Miracle On Ice“, das Wunder von Bern oder eben am Samstagabend die Binder Blaubären Flacht gegen Allianz MTV Stuttgart. Der amtierende Triple-Sieger gegen den Gegner, der in der vergangenen Saison nur knapp die Klasse halten konnte. Alle, die sich im Vorfeld auf eine einseitige Begegnung eingestellt hatten, mussten im Laufe des Abends feststellen, dass man hier wohl den Außenseiter unterschätzt hatte.
Perfekte Rahmenbedingungen
Für das Jahrhundertspiel war der TSV Flacht bestens vorbereitet. Die Halle war bereits weit im Vorfeld restlos ausverkauft, der Livestream war bereit und der Glühwein für die in langen Schlangen wartenden Fans dampfte vor der Halle. Zum Einlauf der Mannschaft hatten die Verantwortlichen feurige Fontänen aufgebaut, die ZuschauerInnen standen auf ihren Plätzen. Im Weissacher Volleyball-Paradies war alles angerichtet für ein Spiel der Spitzenklasse. Die lauten Trommeln der mitgereisten Stuttgarter Fans und die stimmungsvollen Fans der Binder Blaubären verwandelten die Halle in das bekannte Tollhaus. Den ersten Höhepunkt gab es für das Publikum direkt zu Beginn, als der turmhohe Außenseiter direkt zu Beginn mit dem ersten Punkt in Führung ging. Der Titelverteidiger musste sich kurz schütteln, am Ende gelang dann doch mit 25:10 der Sieg des Favoriten.
Der Mannschaftsgeist überträgt sich
Die Mannschaft in Schwarz und Blau wusste in einem wenig aussichtsreichen Spiel gegen den großen Nachbarn an ihre starke Leistung aus der Vorwoche anzuknüpfen. Den Fans auf den prall gefüllten Rängen wurde erneut ein Spektakel geboten. Die Binder Blaubären spielten mutig auf und zeigten deutlich, dass man sich vor dem Giganten aus der Landeshauptstadt keinesfalls verstecken wollte. Das zeigte sich in Satz 2 deutlich. Die TSV-Damen holten einen drei Punkte Rückstand auf und gingen, angepeitscht von den frenetisch feiernden ZuschauerInnen, sogar mit 8:7 in Führung. Flacht bot den favorisierten Stuttgartern weiterhin eindrucksvoll Paroli, sodass sich Gäste-Trainer Konstantin Bitter schließlich beim Stand von 12:12 zu einer taktischen Auszeit gezwungen sah. Der Satzgewinn ging letztlich erneut an die Gäste, aber für die Hausdamen war der zweite Satz mit 14:25 eine Steigerung der eigenen Punktausbeute.
Flacht dreht im dritten Satz auf
Alle, die glaubten, den Binder Blaubären würde nach dieser Kampfleistung die Luft ausgehen, sollten ihr schwarz-blaues Wunder erleben. Kapitänin Julia Cedeño und ihre Kameradinnen hatten jetzt Blut geleckt und wollten allen, die zusahen, zeigen, wozu sie fähig sind. In der Abwehr warfen sich Pauline Kemper, Alina Stäbler oder Valerie Sutterer aufopferungsvoll in jeden Ball, den die Gäste herüberschickten; am Netz zeigten Julia Cedeño, Hanne Binkau oder Chrissi Werner keine Spur von Angst und griffen ein ums andere Mal mutig an. Und die Gäste wussten über lange Strecken nicht so zu dominieren, wie man es im Vorfeld wohl erwartet hatte. Es dauerte lange, bis sich die Favoriten aus Bad Cannstatt absetzen konnten, aber selbst das schockte die Blaubären kein Stück. Schlussendlich gewann der Titelverteidiger auch den dritten Durchgang, Flacht legte aber mit 18:25 erneut eine Schippe auf die vorherige Leistung. Nicht nur die Kulisse rund um das Spiel, sondern auch die Mannschaft auf dem Platz wusste zu begeistern.
MVP: Stuttgarter Youngstar glänzt – Flachts Retterin in der Not
Ein solch besonderes Spiel ist nur durch besondere Spielerinnen möglich. Besondere Spielerinnen wie Leilani Slacanin. Die 16 Jahre alte Außenangreiferin von Allianz MTV Stuttgart zeigte eine beeindruckende Leistung und wurde dafür von Nico Reinecke mit der goldenen MVP-Medaille ausgezeichnet. Auf Seiten der Blaubären musste die so oft gewählte und allseits bekannte Wahl leider ausfallen – die MVP-Dauerabonnentin Frauke Neuhaus fiel mit einer Ellenbogen-Blessur kurzfristig aus. Vertreten wurde die erfahrene Leistungsträgerin von Sommerneuzugang und Ex-Stuttgarterin Sara Marjanovic. An diesem historischen Abend gingen viele Sterne in Weissach auf, aber dieser sollte ganz besonders hell strahlen. Flachts größte Spielerin (190 cm) nahm die ihr gestellte Aufgabe an und wusste die Erwartungen mehr als zu erfüllen. Ihre Angriffe stellten die international erprobten Stuttgarter immer wieder vor Probleme, was Konstantin Bitter mit der Silber-Medaille honorierte, der ersten Auszeichnung für die neue Außen- und Diagonalangreiferin. „Beim David-gegen-Goliath-Duell war der Ausgang von Vorhinein schon zu erahnen. Aber gerade aus diesem Grund hat es so Spaß gemacht, da man sich gegen die Besten der Besten durchsetzen durfte, ohne Druck zu verspüren, gewinnen zu müssen“, ordnete die 24-jährige das Spiel ein. „Und auch wenn das Ergebnis deutlich war, gab es viele gute Ballwechsel und tolle Aktionen, bei welchen wir uns mit Stolz auf die eigene Schulter klopfen können. Trotzdem gibt es auch Verbesserungspotentiale, an welchen wir arbeiten können und auf welche sicherlich unsere Coaches in den nächsten Trainingseinheiten eingehen werden“, fügte sie dem hinzu. Angesprochen auf ihre Medaille gab sie das Lob weiter: „Natürlich gibt einem die Auszeichnung ein gutes Gefühl, dass man etwas richtig gemacht hat und gerade von Stuttgart die MVP-Medaille zu bekommen, ist nochmal eine kleine Steigerung. Nichtsdestotrotz ist Volleyball ein Teamsport und die Leistung als auch das Ergebnis haben wir uns als Team gemeinsam erarbeitet.“ Ein besonderes Lob sprach Sara Marjanovic auch den Flachter Fans aus, bezeichnete die Stimmung als “einfach phänomenal” und ergänzte: “Ich glaube, ohne die Unterstützung der Fans hätten wir nicht nochmal 10% auf die eigene Leistung drauf gelegt!”
Trainer sieht trotz Niederlage gelungenes Pokalspiel
Der angesprochene Coach schlug in eine ähnliche Kerbe wie seine Wertvollste. „Wir haben es gut gelöst im Angriff und Stuttgart auch vor die ein oder andere Herausforderung gestellt. Wir wollten kein Kanonenfutter sein und die Fans mit Kampf und Leidenschaft überzeugen. Das ist uns gelungen“ schlussfolgerte Nico Reinecke im Rückblick. „Unsere Ziele waren es, in jedem Satz mindestens zweistellig zu sein beziehungsweise 15 Punkte zu erreichen.“ Das erste Ziel wurde erreicht, am zweiten Ziel war man näher, als mancher es seiner Mannschaft im Vorfeld vielleicht zugetraut hatte. Die Fans hatten Trainer und Team mit dieser Leistung definitiv begeistern können. Anschließend schickte Nico Reinecke noch einen Gruß an die Gäste und gab einen Ausblick auf die kommenden Aufgaben: „Glückwunsch an Stuttgart zu diesem verdienten Sieg und ich bin mir sicher, wir können einige Sachen aus dem Spiel mit in die Liga übertragen.“
Rückenwind für die nächsten Spiele
Trotz der Deutlichkeit im Endresultat hatte der TSV Flacht eine erneut starke Duftmarke in der deutschen Volleyball-Landschaft setzen können. Kim Renkema, langjährige MTV-Spielerin und aktuell Sportdirektorin bei Allianz MTV sagte der Stuttgarter Zeitung: „Ich halte die gesamte Organisation absolut für erstligatauglich.“ Ihr Trainer schloss sich dem an, der Stuttgarter Zeitung gegenüber sagte Konstantin Bitter: „Bundesliga-reif ist das hier.“ Die beiden mit der deutschen wie internationalen Volleyball-Elite bestens betrauten Funktionäre waren voll des Lobes für die Binder Blaubären. Das Programm geht straff weiter für die TSV-Damen. Am kommenden Wochenende gastieren am Samstag die DSHS SnowTrex Köln, am Sonntag der VCO Dresden in der Heckengäusporthalle II. Mit dem starken Spiel gegen den Branchenprimus und dem beeindruckenden Heimsieg in der Vorwoche gehen die Binder Blaubären mit breiter Brust in das Heimspiel-Doppel.
Wir verneigen uns vor der Leistung unserer Mannschaft im Pokalspiel und drücken die Daumen für die nächsten Spiele.
Text: Flemming Nave
Foto: Nils Wüchner