Blaubären kämpfen lange auf Augenhöhe

Januar 26, 2024

Zweitliga-Volleyballerinnen des TSV Flacht unterliegen Tabellenführer Schwarz-Weiß Erfurt zwar 0:3, doch die Niederlage macht auch Mut.

Von Jürgen Kemmner

Es gibt solche Fragen, die darf man im Sport eigentlich nicht stellen, weil es keine eindeutige Antwort darauf gibt. Etwa: Hätten die deutschen Fußballer das WM-Endspiel 2002 gegen Brasilien gewonnen, wenn Topstar Michael Ballack nicht gesperrt gewesen wäre? Oder: Wären die deutschen Handballer 2007 auch Weltmeister geworden, wenn das Turnier nicht im eigenen Land stattgefunden hätte?

Im Falle der Binder Blaubären des TSV Flacht lautet die verbotene Frage des Wochenendes: Wäre den Volleyballerinnen die faustdicke Überraschung mit einem Sieg über Tabellenführer Schwarz-Weiß Erfurt gelungen, wenn sie den ersten Durchgang gewonnen hätten? „Erfurt war im ersten Satz zu packen“, behauptete Cheftrainer Nico Reinecke, „und wir hätten es verdient gehabt, mindestens einen Satz zu gewinnen.“

Hört sich vielleicht realitätsfern an, wenn am Ende eine 0:3(23:25, 20:25, 15:25)-Niederlage der Blaubären steht, eine erwartete und heimlich einkalkulierte Niederlage gegen den ungeschlagenen Überflieger der Liga – und doch lag der 39-Jährige mit dieser Einschätzung keineswegs vollkommen daneben. Denn im ersten Satz staunten die 350 Zuschauer, darunter ein lautstarker Anhang aus Thüringen, wahrscheinlich wie die Menschen, die in den frühen 1890er Jahren die ersten Autos durch die Straßen fahren sahen. 10:6, 15:8 und auch 21:19 führten die Frauen in Weiß-Blau gegen den Topfavoriten, und das nicht, weil die Erfurterinnen viele Fehler machten, sondern weil die Blaubären absolut auf Augenhöhe mit dem Ligaprimus agierten. „Wir haben die nicht in ihr Spiel kommen lassen“, sagte TSV-Libera Nadine Himmelhan, „am Ende hat sich dann aber doch gezeigt, dass die eine Spur erfahrener sind.“

Schwarz-Weiß spannte Nerven und Muskeln an und nutzte den ersten Matchball zum 25:23 – knapper als die FDP-Mitglieder für den Verbleib in der Ampel-Regierung stimmten, schrammten die Blaubären am Satzgewinn vorbei. Es wäre ein Paukenschlag gewesen, Erfurt hatte in zwölf Spielen zuvor lediglich sechs Sätze abgegeben.

Und auch im folgenden Durchgang schien die Überraschung erreichbar, greifbar. Es stand 6:6, 13:13 und 17:18, dann legten die Gäste erst zwei, dann drei Punkte zwischen sich und den TSV – und mit dem 19:22 ließ sich die thüringer Truppe von Trainer Mateusz Zarczynski die Wurst nicht mehr vom Brot ziehen. „Es wäre wirklich was drin gewesen in den ersten beiden Sätzen“, sagte die Flachter Angreiferin Frauke Neuhaus, „danach ist uns die Konzentration etwas abhandengekommen.“ Erst in Satz Nummer drei war auch für Volleyball-Laien klar erkennbar, welche Mannschaft den souveränen Tabellenführer und welches Team das Kellerkind verkörperte.

Das 0:3 war kein deprimierendes Ergebnis, sondern eines, das Mut machen kann im Kampf gegen den Abstieg. Zwei Sätze lang hielten sich die Blaubären an den Matchplan und forderten von den Erfurterinnen alles ab, „die Mädels haben dabei registriert, dass sie gegen den Tabellenführer eine Chance haben“, sagte Reinecke, „und sie nehmen von dieser Partie mit, dass sie in dieser Liga bleiben können, wenn sie ihre Leistung abrufen und sich eng an die Vorgaben halten“. Das, so meinte der Chefcoach, habe etwa auch beim etwas überraschenden 3:2-Erfolg über die ESA Grimma Volleys funktioniert.

„Wie wir in den ersten beiden Sätzen gespielt haben“, sagte Neuhaus, „das nehmen wir mit in die nächsten Wochen.“ Denn nun geht es zu Bayer Leverkusen (20. Januar), gegen die die Blaubären beim Zweitliga-Debüt im September 3:1 gewonnen hatten, danach folgen die Duelle mit den Konkurrenten im Abstiegskampf Allbau Volleys Essen (27. Januar) und bei den Skurios Volley in Borken (3. Februar).

„Wir können feststellen“, befand Manager Michael Kaiser eine halbe Stunde nach Spielschluss, „dass sich die Mannschaft weiter entwickelt, und wir tun alles dafür, dass wir noch breiter aufgestellt sind.“ Nach Nadine Himmelhan sind die Blaubären an einem zweiten Neuzugang dran – mit der Allrounderin ist sich der Club längst einig, allerdings sind noch Formalitäten zu klären. Wenn alles flutscht, könnte die Spielerin bereits am Samstag gegen Bayer Leverkusen ihr Debüt im Flachter Trikot geben. In der Nachbetrachtung mit etwas Abstand schmerzte das 0:3 nur noch wie ein Pieks mit einer Stecknadel, weil man ja ohnehin keine Punkte eingeplant hatte. „Uns muss nicht bange sein“, sagte Michael Kaiser.

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